Schlecht gebrüllt, Löw(e)
Ob signing fee, ob Bierhoffs Veto, ob Kompetenzgerangel um die U21 – der Grund wabert weiter im Dunkeln, die Konsequenzen sind klar. Die auslaufenden Verträge der Spätzle Connection um Joachim Löw werden nicht wie zuvor von DFB und Löw’schem Quartett angestrebt und per Handschlag unter Männern vereinbart schon vor der Weltmeisterschaft in Südafrika verlängert.
Doch was jeder mit etwas gesundem Misstrauen trotz aller Liebesbekundungen auch am heutigen Tage zum Trotz erkennen muss: Allein ein herausragender Erfolg bei der WM dürfte Löw, Bierhoff und Entourage über den Juli hinaus im Sessel halten.
Nicht nur das zerdepperte Porzellan im Rahmen der nun gescheiterten Vertragsverlängerung hat beim DFB erkennbar für Unverständnis und Unbehagen gesorgt. Auch die sportliche, hier vor allem spielerische Entwicklung und Löws Verständnis von Menschenführung sollen auf mehr Widerstand gestoßen sein, als Theo Zwanzigers öffentliches Bekenntnis zum Bundestrainer vermuten ließ.
Auf Löws bisherige Bilanz als sportlicher Leiter der Mannschaft mit dem Adler auf der Brust ist – trotz souveräner Qualifikation für die WM 2010, trotz Vizeeuropameister-Titel 2008 – durchwachsener, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.
Die Europameisterschaft war geprägt von einem auf und ab, die oft herbeibeschworenen, angeblich Deutschen Tugenden waren öfter von Nöten, als es der eigentliche Plan vorsah. Einzig der Blitzkrieg gegen die Portugiesen, als ein überdurchschnittlicher Bastian Schweinsteiger die Weltklasse andeutete, auf die er sich in dieser Saison nun erstmals konstant zubewegt, und die Hintermannschaft um Pepe & Co. überrannte und das Spiel innerhalb kürzester Zeit praktisch im Alleingang für den DFB entschied, ragte positiv heraus. Erwürgten Siegen gegen Österreich und dem Pflichtsieg gegen Polen, dem Last Minute Sieg gegen die Türkei (alle drei nicht bei der WM in Südafrika vertreten) standen Niederlagen gegen Kroatien (auch nicht qualifiziert) und eine Demontration der Stärke der Spanier im Finale gegenüber.
Mit etwas Abstand zum Turnier, zur Euphorie des von Menschen und Medien so herbeigesehnten und herbeigeschriebenen erneuten Sommermärchens muss man konstatieren: Auch beim zweiten Vizetitel des neuen Jahrtausends war ein gewaltiges Portiönchen Losglück vertreten.
Dass sich dann der gebotene Rumpelfußball der EM in der WM-Qualifikation fortsetzte, war dann der nächste Tropfen im Geduldsfass der DFB-Führung.
Erfolgreich, ja. Schön gespielt? Nein.
Aber auch an der sportlichen Bilanz gibt es einige Schönheitsfehler. Zwei Siege gegen den EM-Halbfinalisten Russland, der beim Turnier in den südlichen Alpenländern unter anderem den WM-Mitfavoriten Holland nach Hause geschickt hat, sehen auf den ersten Blick nicht weniger als hervorragend aus. Dass besonders der Auftritt in Moskau aber von einer spielerischen, ja sogar kämpferischen Schlichtheit geprägt war, steht nicht in den Geschichtsbüchern. Die einzige echte Torchance durch Miroslav Klose war dann auch drin, eine Effektivität, die die Russen nicht auf die Straße bekommen haben.
Auf die Vorteile einer effektiven Turniervorbereitung bei Hiddinks Mannschaften braucht man da gar nicht mehr hinzuweisen, wenn man die Stellung der russischen Leistung zur EM bewertet.
Über die sportliche Qualität des Rests der deutschen Qualifikationsgruppe hüllen wir den Mantel des Schweigens.
Was aber viel schlimmer als die sportliche und spielerische Armut unter Löw ist und auch bei so manchem der DFB-Oberen die Alarmglocken zum Klingeln gebracht haben dürfte, ist die abflauende Euphorie im Camp der deutschen Fans. Die miserablen Verkaufserfolge der WM-Tickets sind nicht nur der Sicherheitslage am Kap geschuldet. Hier hat auch die langweilige, wenig inspirierende Spielweise der Löw-Mannen ihren Beitrag geleistet.
Man kann von dem Nicht-Trainer Jürgen Klinsmann halten, was man will. Zu seiner Amtszeit war trotz BILD-Sperrfeuer eine Euphorie, eine Festspiel-Stimmung um die Deutschland-Elf allgegenwärtig. Klinsmann ließ einen offensiven, kreativen Fußball spielen, manchmal mit dem Hang zum defensivnegierenden Wahnsinn, betonte zugleich die positiven Aspekte um die Auswahl. Dieser Funke sprang von Mannschaft auf Publikum über, und von dort wieder zurück auf das Spielfeld.
Löw dagegen fällt inzwischen nur noch durch eine miesepetrige, kalte, berechnende Art auf – sowohl auf wie abseits des Platzes.
Es ist nicht so einfach, sich nunmehr nur auf die Kleidung von Löw und Flick einzuschießen, die mit ihrem hochgeschlossenen Rollkragen-Look ein unterschwelliges Signal der Abwehrhaltung setzen, dessen sie sich womöglich gar nicht bewusst sind.
Durch seine Menschenführung macht sich Löw zudem seit einiger Zeit hochgradig angreifbar. Alles begann mit eben jenem einen Spiel, das ist der Post-EM-Zeit als das beste der Löw-Ära gilt – das Quali-Spiel gegen Russland in Dortmund, als Kevin Kuranyi, verärgert über seinen Tribünenplatz, in der Halbzeit das Stadion fluchtartige verließ. Löw reagierte auf diesen Aussetzer des Simplicissimus, im Gegensatz zur Podolski-Ohrfeige, mit der härtest möglichen Konsequenz – der Verbannung. Zu dieser Zeit bekam der Bundestrainer für diese Entscheidung wenig Gegenwind, einzig die damals selbst nicht vollends vom Stürmer überzeugte Schalker Lobby wagte Widerworte, wenn sie denn noch genug Energie neben den eigenen wirtschaftlichen Problemen fand. Nunmehr aber, Löw ist angeknockt, Kuranyi spielt die Saison seines Lebens, werden diese Leichen von der Flut ans Ufer geschwemmt.
Löws Probleme mit dem Schalker Jermaine Jones sollen hier nur kurz der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
Torsten Frings war dann die nächste Kerbe im Löw’schen Knüppel. Sportlich sicherlich nicht unumstritten, bekam der Bremer Kapitän und essentielle Teil der WM-Mannschaft von 2006 einen Abschied, der nicht viel respektvoller als die Ausbootung des Titans vor der Heim-WM war. Monatelang wurde Frings von der sportlichen Führung der Nationalmannschaft warmgehalten, die Hoffnung geschürt, er können des Sprung trotz Formschwäche und Leistungseinbruch noch in den letzten Zügen vor der Nominierung des Kaders für Südafrika schaffen. Kurz vor dem für die Werderaner wichtigen Heimspiel gegen den FC Bayern bestellte Joachim Löw den Lutscher zum Meeting und teilte diesem mit wenig Worten sein Ende in der DFB-Auswahl mit.
Diese Entscheidung mag sportlich zwar noch verständlich sein, sie ist zumindest aber antizyklisch. Gerade in dem Moment, als Frings sich in einer aufsteigenden Leistungskurve befand, erfolgte die Absage. Nicht, als Frings sich meilentief im Formloch befand.
Fast schon zwangsläufig war es dann, dass der Bremer Sechser dann am Samstag darauf in einer überforderten Mannschaft gegen Bayern eine unterirdische Leistung brachte.
Ein ständiges Ärgernis in Löws Personalentscheidungen ist seine Präferenz für die Stuttgarter Schule. Zwar mag man ihm zu Gute halten, dass die Jugendarbeit des VfB zum Besten gehört, was man in Deutschland finden mag. Was jedoch den eingebürgerten Cacau, der jahrzehntelang nicht mal ansatzweise zur Elite der Liga gehörte, gegenüber dem jetzigen Topscorer Stefan Kießling qualifizierte, konnte wohl außer dem erlesenen Neckarzirkel niemand nachvollziehen. Ähnlich erging es der Personalie Christian Träsch, dessen Nominierung zum Leistungstest nunmehr entgültig die Argumentation ausschließt, dass der Stuttgarter Durchschnittsspieler einzig aufgrund des Personalnotstands bei der Asienreise der Nationalelf zum Auswahlspieler wurde.
Hingegen werden die herausragenden Talente Mats Hummels und Holger Badstuber aus der Bayern-Schule trotz deutlicher Unterbesetzung in der deutschen Defensive für Südafrika weitgehend ignoriert.
Und die nächste Problematik deutet sich schon an. Nach dem langfristigen Ausfall des Leverkuseners Simon Rolfes und der Verbannung von Frings kündigt sich eine Vakanz auf der Sechs neben Michael Ballack an. Als Kandidaten erscheinen – eine Lazarus-artige Wiedererstarkung Thomas Hitzlspergers außen vor – natürlich Bastian Schweinsteiger sowie Sami Khedira. Nimmt man einzig die Leistungsvergleiche heran, wäre das Urteil leicht zu fällen. Der Münchner spielt eine hervorragende Saison und wird auch außerhalb des Bayern-Zirkels mit Lob überhäuft. Auf der Sechser-Position wächst der langjährige Schlendrian zu neuen Höchstleistungen. Sami Khedira kann bisher auch auf eine sehr gute Saison blicken. Doch fehlt dieser Hauch des Außergewöhnlichen, den man bei Schweinsteiger derzeit vernehmen kann. Auch hat die Nummer 31 der Bayern seine Leistungen auch gegen international hochklassige Gegner gebracht, Khediras größte Aufgabe folgt erst noch gegen den FC Barcelona in der CL-KO-Phase.
Doch trotz all dieser Indizien traut man Löw auf breiter Bank zu, dass er Schweinsteiger nicht, wie im Verein, von der linken Flanke in die Mitte versetzen wird. Und dass der Grund Sami K. aus S. heißen könnte, spielt hier wohl nicht nur einen unwesentlichen Grund.
Aber selbst wenn Löw sich doch dazu durchringen könnte, für die WM auf Schweinsteiger als Sechser zu setzen, so ist doch allein die Vermutung, dass Löw solche sachfremden Erwägungen sein Urteilsvermögen beeinflussen könnten, kein gutes Zeichen für das Klima um den Bundestrainer.
Dass er auch sehr ungern sein heimatliches Schwabenland verlässt und sein persönliches Scouting auf die Stadien in Schwaben, Baden und dem Kraichgau konzentriert, tut wiederrum sein übriges.
Joachim Löw hat sich durch seine Menschenführung, seine Personalentscheidungen, ja, gar sein ganzes Auftreten und das seines Stabes – inklusive Oliver Bierhoff, der noch immer nicht verstanden hat, dass in einem Sportverband ein selbstbewusster, kompromissloser Duktus leicht und gerne als arrogant und brüsk missverstanden wird – angreifbar gemacht. Seine sportliche Leistung sorgt ebenso nicht dafür, dass sich die Öffentlichkeit und die DFB-Führung für ihn in die Schussbahn wirft. Dass er in einer solchen Situation nunmehr für sich und seine Mannen eine erhöhte finanzielle Entlohnung für seine Vertragsunterschrift und weitreichendere Kompetenzen für Oliver Bierhoff gefordert hat, lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu:
Entweder legt es Joachim Löw absichtlich auf eine Trennung nach der Weltmeisterschaft an und bereitet diese nun vor, oder aber er überschätzt seine Stellung und lässt sämtliches Gespür für Strömungen und Befindlichkeiten in Fußball-Deutschland vermissen.
Egal, welche Interpretation zutreffen mag, die Konsequenz kann eigentlich nur lauten, dass sich Theo Zwanziger & Co. nach einem Nachfolger umsehen sollten. Und es muss nicht die schlechteste Entwicklung für den deutschen Fußball sein.
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