Skandal um die WM 2006: Welche Rolle spielte die Kirch-Gruppe?

Die Story des Spiegels am vergangenen Freitag schlug ein wie eine Bombe – auch wenn inzwischen nicht nur unter der Hand diese Vermutung von allen einigermaßen informierten Kreisen geäußert wurde:

Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 an den DFB lief angeblich nicht ganz astrein, das FIFA-Exekutivkommittee hat sich nicht (nur) deshalb für Deutschland entschieden, weil wir so tolle Gastgeber und Organisationsweltmeister sind.

Doch auf die „Smoking Gun“, den letzten Beweis, warteten alle. Haben ihn die Redakteure des Spiegels mit der handschriftlichen Notiz von Wolfgang Niersbach im Rahmen der suspekten Überweisung von 6,7 Mio Euro an die FIFA nun gefunden? Oder ist es nur ein weiteres Indiz?

Auf jeden Fall wird Wolfgang Niersbach, wenn er – was der DFB-Präsident derzeit dank „Erinnerungslücken“ weder bestätigt noch bestreitet – tatsächlich Verfasser der Notiz „Honorar für RLD“ ist, einige Fragen beantworten müssen, an deren Ergebnis seine Zukunft als DFB-Präsident gemessen sein wird. Denn es wäre ein ungeheuerlicher Vorgang, wenn eine Zahlung des größten Sportverbandes Deutschlands bzw. dessen WM-Organisationskommittees mit Kenntnis der verantwortlichen Funktionäre absichtlich falsch deklariert worden wäre. Diese mutmaßliche Falschdeklaration als Zahlung für das FIFA-Kulturprogramm passiert nicht ohne Grund. Hier braucht es meiner Meinung nach gar nicht mehr den – tatsächlich noch nicht nachweislich erbrachten – Beweis der direkten Bestechung mehr. Wenn feststeht, dass Niersbach wusste, dass diese Zahlung absichtlich falsch deklariert wurde, kann er meiner Meinung nach nicht mehr DFB-Präsident bleiben.

Wirklich interessant ist die Rolle der inzwischen insolventen Kirch-Gruppe in diesem Spiel. Der Spiegel-Artikel wiederholt die bereits seit 2003 bekannten, wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Verträge über Testspiele des FC Bayern München sowie einen total unsinnigen Beratervertrag mit dem Libanesen Elias Zaccour. Im Zentrum steht die damalige Agentur CWL mit Günther Netzer, die später – nach der Kirch-Insolvenz – in Infront aufging.

Man braucht nur auf den Wikipedia-Eintrag zu Infront zu verweisen, um hellhörig zu werden:

Infront Sports & Media ging aus der ehemaligen KirchSport AG hervor. Im Oktober 2002 übernahm ein Investorenkonsortium, geführt von Robert Louis-Dreyfus, die KirchMedia-Tochter. Diese war ursprünglich durch eine Fusion der Schweizer Sportvermarkter CWL und Prisma Sports & Media entstanden.

Der FC Bayern sollte vier Freundschaftsspiele in der Diaspora der FIFA-Fußballfamilie abhalten – in Thailand, Malta, Tunesien und Trinidad. Alle vier Länder hatten eines gemein: Mannschaften von sportlich zweifelhafter Qualität, aber Mitglieder im FIFA-ExCo, die mindestens als wackelig, wenn nicht gar als offen pro Südafrika galten. Zudem muss man zu Jack Warner nichts mehr sagen. Dass genau das Testspiel des FCB gegen Trinidad nicht stattfand und Jack Warner für Südafrika stimmte, kann da auch kein Zufall mehr sein.

Wesentlich ist, dass CWL für diese Spiele einen Betrag vereinbarte, den auch der überhitzte Sportrechte-Markt nie und nimmer hergab. Das Kirch’sche DSF machte damals Jahr für Jahr Verluste, selbst auf dem deutschen Markt waren diese Spiele trotz Beteiligung des deutschen Rekordmeisters nicht entsprechend zu refinanzieren.

Es riecht nach Fisch, es sieht aus wie Fisch – dann ist es wohl auch Fisch.

Der DFB bzw. die damals beteiligten Personen, also Wolfgang Niersbach, Franz Beckenbauer und Fedor Radmann bestreiten zwei wesentliche Behauptungen des Spiegel-Artikels nicht: Die Zahlung des Darlehens in Höhe von 13 Millionen Mark durch Robert-Louis Dreyfus und eben jener Abschluss der Testspiel-Verträge.

Es ist eines, ob der FC Bayern zu sportlich blödsinnigen Testspielen fliegt, um sportpolitisch irgendwas zu erreichen. Aber dies auch noch durch eine Kirch-Tochterfirma mit TV-Rechte-Deals zu begleiten, die wirtschaftlicher Wahnsinn sind, hat ein „Geschmäckle“. Die Kirch-Gruppe hatte kurz vor Vergabe der WM im Jahre 2000 – als Inhaber der TV-Rechte an der WM 2006 – ein direktes wirtschaftliches Interesse an der Ausrichtung der Weltmeisterschaft durch den DFB. Andererseits stand der Kirch-Gruppe aber bereits damals das Wasser bis zum Hals. Aus der Portokasse dann eine Bestechungsaktion durchzuziehen, wenn man zeitweise bereits wichtige Filmrechte nicht mehr erwerben konnte, ging nicht.

So drängt sich eine Erklärung des Ablaufs auf:

Was, wenn diese schwarze Kasse nicht beim DFB, nicht beim OK, sondern einer Kirch-Tochter in der Schweiz lag? Dies würde so einiges erklären.

Niersbach & Co. könnten weiterhin – wahrheitsgemäß – behaupten, dass sie keine schwarze Kasse hatten, dass sie keinen bestochen hätten.

Die enge, absolut unübliche Abstimmung von Fedor Radmann mit den Anwälten der CWL hinsichtlich dieser Testspiel-Deals wirft einige Fragen auf, die durch diese Theorie beantwortet werden könnten.

Auch die Frage, warum der DFB sodann direkt das Darlehen über den Umweg FIFA zurückzahlte, würde hierdurch erklärt. Die Kirch-Gruppe war im Jahre 2005 insolvent, auf etwaige Konten der CWL konnte man nicht mehr zugreifen. Sollte die „schwarze Kasse“ tatsächlich bei einer Firma der Kirch-Gruppe zu verorten gewesen sein, wäre etwaiges Guthaben hier verloren, zumindest nicht mehr ohne Kenntnis des – insofern nicht eingeweiten – Insolvenzverwalters auszuzahlen. Wenn Beckenbauer damals persönlich den Schuldschein über das Darlehen unterschrieben hatte, wie es der Spiegel behauptet, könnte es sein, dass Dreyfus dann sein Geld hier einforderte. Aus seinem Privatvermögen wollte es Beckenbauer dann aber wahrscheinlich auch nicht zurückzahlen.

Der tatsächliche Beweis einer Bestechung fehlt jedoch weiterhin. Dennoch sind nunmehr so viele Ungereimtheiten als Fakt anzunehmen, dass Handlungsbedarf besteht – wenn besagte Notiz von Niersbach stammt. Dies muss dringend einer objektiven Überprüfung zugeführt werden.

Insofern ist es als sehr verwunderlich zu bezeichnen, was der Mit-Autor der Spiegel-Story Jens Weinreich am Sonntag in Sky90 zugab: Man habe bislang nicht prüfen lassen, ob diese Handschrift auf der Notiz tatsächlich von Niersbach stamme. Warum man sich hier nicht rückversichert, ist mir unbegreiflich – und mir nur damit erklärbar, dass die Spiegel-Redakteure keine Kopie des Schreibens in Händen halten.

Bemerkenswert ist aber, mit welchen Kanonen der DFB nun auf diese Story und die verantwortlichen Personen schießt. Schon in den letzten Jahren gab es den ein oder anderen Artikel zu dem Thema. 95% der Informationen des Spiegel-Artikels sind nicht neu. Nun aber fährt die gesamte DFB-Armada auf, der Beckenbauer-Intimus Alfred Draxler etwa greift Jens Weinreich auf allen Kanälen persönlich an.

Es gibt einen schönen Spruch: „Getroffene Hunde bellen.“

Es würde dem DFB gut zu Gesicht stehen, sich auf die lückenlose, unvoreingenommene Aufklärung zu konzentrieren, die man so oft von anderen im Weltfußball fordert, anstatt nunmehr die „Nestbeschmutzer des Sommermärchens“ persönlich anzugehen. Wenn der ein oder andere das als Versuch des „Mundtotmachens“ wahrnimmt, braucht sich der DFB nicht zu beschweren.

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6 Antworten

  1. Davidoffsmoker sagt:

    Was mir bei dieser ganzen Sache nicht passt, ebenso wie bei der Sache mit Platini und Blatter über den Beratervertrag und das damit verbundene Honorar, ist diese Masche des Unschuldigen. Niersbach steht einem/ dem größten Einzelsportverband der Welt vor und man vergisst nie darauf hinzuweisen das ja ach soviele Amateure in diesem Verband organisiert sind und dann hat er auf einmal Erinnerungslücken was eine Zahlung von 6,7 Mio EUR betrifft? Das ist doch eine Summe die auffallen muß, im positiven wie im negativen. Das entspricht rund 10 Prozent des Etats des DFB und da will er nicht wissen ob er diese Zahlung veranlasst hat oder eben nicht?!

    Das wirft für mich die Frage auf was für Dilletanten denn da am Werk sind. Platini arbeitet als Berater ohne einen Fetzen Papier unterschrieben zu haben wo die Vergütung geregelt wird, beim OK der WM werden Summen bewegt ohne das sich jemand erinnern kann usw.

    In der Summe wirkt das dann auf mich tatsächlich wie eine kriminelle Vereinigung, da werden auch keine Bücher geführt, eben gerade um zu verhindern das die „schwarzen“ Kassen gefunden werden.

    Was mich auch brennend interessieren würde, was denken eigentlich die großen Sponsoren des Fußballs, die TV Unternehmen usw. wenn die mit den Funktionären des Fußballs verhandeln? „Och schau an, die Idioten die zu doof sind nen Vertrag zu schreiben und ordnungsgemäße Buchführung nur als Fremdwort kennen sind wieder da!“

  2. Rheinländer sagt:

    Was bei der Theorie vielleicht zu kurz kommt, alle Beteiligten (DFB, Adidas, Kirch, FC Bayern, Fussballliga) hatten ein überragendes wirtschaftliches Interesse, dass die WM in Deutschland stattfindet. Warum also überhaupt eine schwarze Kasse, Bestechung in Geschäftsverkehr im Ausland ist erst sein 09.2002 strafbar, die Summe wäre eine, mehr oder weniger, vertretbare Aufwendung. Hätte RLD daher ein Darlehen an Kirch geleistet, hätte er doch ganz normal als Insolvenz-Forderung anmelden können. Es wäre dann das übliche, its not a crime, its the cover-up, was die Beteiligten in Bedrängnis bringt.

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  2. 21. Oktober 2015

    […] tauchen die Namen Kirch-Gruppe, Dreyfus und FC Bayern in einem unmittelbaren Zusammenhang auf. Skandal um die WM 2006: Welche Rolle spielte die Kirch-Gruppe? | sportmedienblog Hony soit qui mal y pense…. alles […]

  3. 21. Oktober 2015

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  4. 22. Januar 2016

    […] Gründer und Executive Director. Zu diesem ganzen Kapitel mit Kirch und den Fernsehrechten sei auch dieser Artikel wärmstens […]

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