Die Schickeria München – Seele oder Krebsgeschwür des FC Bayern?
In der Südkurve der Fröttmaninger Allianz Arena hängt ein Banner:
“Südkurve – Herz und Seele unseres Vereins”
Die Südkurve, die Heimat der, wie sie sich selbst nennen, “Treuesten der Treuen”, der Stehplatzbesucher, oder, wie sie gerne von der Vereinsführung genannt werden, der “stimmungsbereiten Fans”. Dominiert wird dieser Teil des Stadions von einer Gruppierung, die in den letzten Wochen öffentlichkeitswirksam auf sich aufmerksam gemacht hat. Der Schickeria München.
Doch ist die Schickeria tatsächlich das, was dieses Banner aussagt? Das Herz, die Seele des FC Bayern? Ohne die dieser Verein nicht existieren würde. Der den Verein zu mehr macht als einer austauschbaren, leblosen Hülle?
Oder stellen sie mit ihrem in der letzten Zeit ungebremst an die Oberfläche getragenen Führungs- und Geltungsbewusstsein nicht doch eher eine Gefahr für die Zukunft des Vereins dar?
Angefangen hat es nicht erst mit den “Koan Neuer”-Plakaten. Auch wenn diese Aktion natürlich – DFB-Pokal-Halbfinale, Free-TV-Übertragung, es ging um die deutsche Nummer 1 – am meisten Resonanz in den deutschen Medien erfuhr. Die Schickeria gerät regelmäßig mit Kluboberen aneinander, mal geht es um kleinere Geschichten, wie Fahnen oder Fanartikelverkauf, mal um größere, wie den Angriff auf Nürnberger Fans auf einer Raststätte.
Schon 2007 warnte Uli Hoeneß in der Sendung Blickpunkt Sport vor “italienischen Verhältnissen”.
Diese Gruppen üben einen unglaublichen Druck aus, sie wollen mehr Macht, sie wollen die Kontrolle über die Kurven. Sie geben anderen Fanklubs keine Chance mitzumachen.
Ob man die Schickeria mit den italienischen Ultras, die eine ganz andere “Qualität” – und das ist kein Gütesiegel – an den Tag legen, in einen Topf werfen muss, ist eine andere Frage. Richtig ist aber, dass sich bereits vor vier Jahren andeutete, was nun, in Zeiten des sportlichen Misserfolgs an den Tag tritt.
Eine gewisse, zunehmende Entfremdung zwischen Teilen der Bayern-Kurve und dem Vorstand, ein Streben nach Mitbestimmung im Verein, im Tagesgeschäft, in der langfristigen Planung. Auch in Fragen, die nicht ureigene Fanbelange sind.
Die Kurve will ein Wörtchen mitreden, wer nächste Saison im Tor steht.
Zunächst eine persönliche Anmerkung. Ich sehe mich nicht in dem einen oder dem anderen Lager stehend. Ich bin bei gewissen Themen auf Seiten der Schickeria (Stehplätze im Stadion, Fanrechte, Sechzig), bei anderen auf Seiten des Vorstands (Manuel Neuer).
Die Schickeria hat mit Sicherheit Recht, wenn man darauf hinweist, dass es auch Fans gibt, für die das Fansein nicht um 17.25 Uhr beendet ist. Dass Fansein mehr sein kann als das neunzigminütige Hoffen auf den Sieg.
Was mir aber regelmäßig aufstößt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Schickeria einen Führungsanspruch aus dem vermeintlichem Faktum ableitet, dass ihre Mitglieder die “besseren Fans” seien.
Eines muss der Schickeria klar sein. Ihr seid nicht besser, Ihr seid nicht die Elite. Und vor allem: Ihr seid weder die Mehrheit noch von dieser in irgendeiner Weise, demokratisch oder undemokratisch, legitimiert.
Eine Fangruppe, denen das Spiel auf den Rasen oftmals egal ist, die – so toll das für TV-Sender auch sein mag – unabhängig vom Spielstand “Stimmung” macht, kann und darf sich nicht herausnehmen, die Meinung “der Fans” zu repräsentieren. Die Schickeria ist eine Gruppe, die für den Verein enorm wichtig ist. Aber sie ist nicht allein. Sie hat andere Ziele, andere Werte, andere Prioritäten.
Wie oft machen sich Bayern-Fans über Teile der Sechziger-Fans lustig, die auf den Abstieg in die Bayern-Liga hoffen, damit man aus der ungeliebten Arena ausziehen muss.
So viel anders ist der Protest gegen Manuel Neuer nicht.
Der Schalker Torwart ist – unbestritten – der beste deutsche Torwart. Das wird auch so mancher Kraft-Fan zugeben. Doch das interessiert nicht. Lieber mit der Lösung Kraft die B-Lösung und was für’s Herz als mit Neuer die Champions League gewinnen.
Die Vergleiche zu Christoph Daum und Willi Lemke, die dieses Woche in der Kurve die Runde machten, sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Beide haben sich – im Gegensatz zu Manuel Neuer – in der Öffentlichkeit regelmäßig nicht nur gegen den FC Bayern, sondern gegen alles, wofür dieser Verein steht, positioniert. Manuel Neuers Sünde war, vor seiner Profikarriere beim FC Schalke in der Kurve zu stehen und einen Sieg gegen Bayern zu feiern. Na und?
Jens Jeremies, eine der wichtigsten Personen der Saison 2000/01, kam vom absoluten Erzfeind. Nicht bloß von Schalke. Von dort kamen übrigens auch Thomas Linke oder zuvor Olaf Thon, ohne dass es Probleme mit der Identifikation oder gar Leistung gegeben hätte.
Es wird daher mit jeder weiteren Aktion, die die Schickeria gegen den Vorstand fährt, immer klarer:
Die Personalie Manuel Neuer ist ein Stellvertreterkrieg. Er ist ein einfaches Opfer, Aktionen gegen ihn werden genüsslich von den Medien aufgesaugt und weiterverbreitet.
Die Schickeria betreibt in einem Moment der sportlichen Krise den Putsch im Verein. Man hat fast den Eindruck, dass Teile der Kurve den sportlichen GAU herbeisehnt, damit es im Sommer richtig knallt, damit Neuer nicht kommt, damit Robben geht und im Moment des Missmutes vielleicht auch der ein oder odere gemäßigte Fan aufbegehrt. Anders kann man es nicht werten, dass in Zeiten der schwersten sportlichen Krise, der wichtigsten Phase der Saison, die Südkurve nichts besseres zu tun hat, als gegen Neuer, Ticketpreise und Sechzig-Rettung zu demonstrieren, anstatt die Mannschaft zu unterstützen.
Das Ziel ist die Herrschaft der Minderheit über die schweigende Mehrheit, abgeleitet aus dem Umstand, dass diese Mehrheit zwar in keinster Weise finanziell, dafür aber angeblich emotional deutlich mehr in diesen Verein investiert.
Doch auf diese Position hat die Schickeria kein Anrecht. Es macht einen nicht zu einem besseren Fan, wenn man familiäre Bindungen und soziale Beziehungen vernachlässigt, um jedes Wochenende in der Kurve zu stehen. Wenn einem die Stimmung im Stadion wichtiger ist als das Spiel auf dem Rasen.
Denn letztendlich ist die Schickeria ein Teil dieses Vereins. Ein Teil. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. In Fragen die Kurve betreffend, sollten, nein müssten die aktiven Fans auch erster Ansprechpartner des Vereins sein. Wie die Karten verteilt werden, wie die Blöcke organisiert werden, was an Fanutensilien erlaubt wird. Das ist deren Metier, hier sind die Ultras die Experten.
Aber nicht bei Manuel Neuer und Finanzhilfen für Sechzig. Denn davon haben sie entweder keine Ahnung, haben andere Prioritäten oder beides.
Es spricht niemand den Ultras ihre Wichtigkeit im Verein ab, ganz im Gegenteil. Aber Respekt ist keine Einbahnstraße. Und daher haben auch die Ultras die Fans zu respektieren, die nicht ihre Einstellungen teilen.
Und das sollte die Lehre aus dieser Geschichte sein. Der Verein verträgt auch Meinungsverschiedenheiten, die große Bayern-Familie muss nicht immer einig sein. Aber Recht hat am Ende auch nicht unbedingt der, der am lautesten schreit.
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