Die Ära van Gaal, eine (Re)Kapitulation

Seit dem denkwürdigen Auftritt von Bayern-Präsident Uli Hoeneß bei Sky90, in dem er dem Trainer van Gaal Beratungsresistenz vorwarf – in einer Phase, als sich die sportliche Lage trotz der Verletzungssorgen gerade einigermaßen stabilisierte – war klar, dass dieser Tag früher oder später kommen musste.

Die Ära van Gaal neigt sich dem Ende zu.

Ob der Holländer nun schon am heutigen Sonntag entlassen wird, ob man noch einige Spiele abwartet oder gar den Schnitt erst im Sommer macht. Dass van Gaal seinen bis 2012 laufenden Vertrag erfüllen wird, erscheint spätestens nach der Pleite bei Hannover ausgeschlossen.

Das große Problem:

Damit entledigt sich der FC Bayern des vermutlich besten Trainers, den man seit Jahrzehnten in den eigenen Reihen hatte.

Ja, er hat seine Probleme. Die Außendarstellung stößt so manchem auf. Diplomatie ist ihm oft ein Fremdwort. Zudem kommt man nicht umrum, ihm zumindest eine Mitschuld an den unterdurchschnittlichen Transferperioden dieser Saison zuschreiben.

Überhaupt, die Transfers. Viel eher, die nicht getätigten Transfers.

Schon letzte Saison war – so positiv die Spielzeit 2009/10 im Rückspiegel immer noch wirkt – “auf Kante” genäht. Die Meisterschaft wurde erst am vorletzten Spieltag gesichert, und dies auch nur durch die Heimimplosion des FC Schalke gegen Werder Bremen vorzeitig.
Die Probleme in der Defensive waren offenkundig, jeder mit mindestens einem gesunden Auge wusste, dass zumindest auf der Linksverteidigerposition erheblicher Handlungsbedarf bestand.

Dennoch wurde praktisch nichts getan. Vielmehr wurde im Sommer, spätestens aber im Winter der Kader erneut ausgedünnt. Auf die Saisonbeendende Verletzung von Stürmer Ivica Olic wurde nicht reagiert, so dass man die Rückrunde, die zu Beginn noch mit Dreifachbelastung drohte, mit gerade mal zwei Stürmern bestreitet.

In der Defensive greift man auf Behelfslösungen zurück, in der Innenverteidigung stehen nur drei gelernte Spieler zur Verfügung.

Die Bank war immer der Trumpf des FC Bayern. Im Frühling, wenn es um die berühmte Wurst ging, wenn die physisch und psychisch belastenden Spiele im Dreitagestakt aufschlagen, war der FC Bayern da. Auch, weil man punktuell die Mannschaft durch Wechsel entlasten konnte.

Anno 2011 ist das nicht der Fall. Die Mannschaft stellt sich praktisch von selbst auf.

Hinzu kommt, dass die sportliche Leitung nicht auf sportliche Rückschläge reagieren kann. Das Heimdebakel gegen Dortmund, eingeleitet durch drei individuelle Fehler, hat die Mannschaft geschockt. Den Abstand, den die Tabelle aussagte, hat man auch auf dem Platz plastisch vorgeführt bekommen.

Konnte man sich bis zu jenem Samstag noch fröhlich in die Tasche lügen, dass man ja eigentlich ihn Wahrheit doch die beste Mannschaft Deutschlands sei und dies nur den Verletzungsproblemen geschuldet sei, so bekam man dann in Bestbesetzung deutlich die Grenzen aufgezeigt.

Dieses Spiel steckt den Bayern-Spielern in den Knochen, aber vor allem in den Köpfen.

Die Mannschaft wirkt gelähmt. Gegen Hoffenheim, gegen Mainz zeigte man wieder den begeisternden Offensivfußball der Vorsaison, natürlich inklusive der üblichen Defensivmängel. Aber mit denen hat man sich inzwischen ja etwas arrangiert.

Solange es vorne stimmt.

Doch seitdem die Borussia der Mannschaft den psychischen Todesstoß versetzt hat, stimmt es eben vorne nicht mehr. Man spielt lethargisch, zeigt keine Laufbereitschaft, bietet keine Offensivlösungen, sondern hofft auf ein Wunder.

Gomez hängt wieder in der Luft wie im ersten Viertel der Saison, Ribéry und Robben laufen sich regelmäßig an bis zu drei Verteidigern fest und erhalten keine Unterstützung durch die Außenverteidiger Lahm und Badstuber, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Thomas Müller lässt die gewohnte Spritzigkeit und Explosivität vermissen. Hinzu kommt das Problem Schweinsteiger, der sich seine Auszeit von der Weltklasse genau im falschen Moment genommen hat.

Natürlich, es war klar, dass gerade die jungen Spieler Rückschläge erleiden würden. Es wirft keiner Thomas Müller vor, dass er noch nicht die Konstanz eines erfahrenen Haudegens bieten kann. Doch der sportlichen Führung muss man vorwerfen, nicht auf diese absehbare Entwicklung vorbereitet gewesen zu sein.

Man vertraute den Nachwuchsspielern. Ob Müller, Badstuber oder auch Contento. Selbst Breno wurde nun der nächste Schritt zum etablierten, unumstrittenen Stammspieler zugeschrieben. In der Konsequenz verzichtete man auf Neuzugänge oder schickte gar erfahrene Alternativen weg.
Doch damit tat man den jungen Spielern keinen Gefallen.

Anders als in der Vorsaison spielten Müller & Co. nicht, weil sie besser als die erfahrenen Alternativen waren, sondern weil es gar keine Alternativen gab. Im Ergebnis erhöhte man den Druck damit derart, dass es nur eine Frage war, wen es zuerst zerbrechen wurde. Zuerst war es Contento, den auch Verletzungen behinderten, nun brach Badstubers Leistung zusammen, und inzwischen sitzt auch Müller in einer Grube, aus der er nur schwer heraus kommt.

Man weiß nicht genau, wer für die Kaderplanung schlussendlich verantwortlich ist. Angeblich hatte der Vorstand van Gaal 30 Mio Euro für Transfers im Sommer zur Verfügung gestellt. Genutzt hat er davon keinen einzigen Cent. Wenn dies so zutrifft, war es grob fahrlässig, denn auch van Gaal hätte – besonders angesichts der Verletzung von Arjen Robben – bewusst sein müssen, dass das zweite Jahr für Nachwuchsspieler immer das schwerste ist. Und dass den Leistungsträgern die mental und körperlich anstrengende Weltmeisterschaft noch zusetzen würde.

Doch das ignorierte Louis van Gaal.

Mit diesem entscheidenden Fehler in der Saisonvorbereitung trübt sich van Gaal die Bewertung seines Handelns beim FC Bayern. Denn was feststeht, ist, dass der FC Bayern den technisch und taktisch besten Fußball seit Jahrzehnten spielt. Vorbei die Zeiten des Hitzfeld’schen Rumpelfußballs, der auf die individuelle Klasse einiger weniger setzte. Vorbei die Zeiten des Magath’schen Defensivriegels, mit dem Hoffen auf das zufällige Tor.

Unter van Gaal hatte die Mannschaft einen Plan. Es wirkte alles strukturiert, es hatte Hand und Fuß, es machte Sinn. Die offensiven Außen Robben und Ribéry ziehen unterstützt von den Außenverteidigern die Mannschaft auseinander, wodurch in der Mitte für Gomez, Müller und Schweinsteiger Platz war. Durch ständigen Ballbesitz wurde das Spiel kontrolliert, durch Kurzpasspiel die Fehlerquote minimiert.

Doch leider fehlt der Plan B. Der FC Bayern hat keine Antwort mehr. Nicht auf die psychische Herausforderung, die der Abschied von zwei Titeln darstellt. Nicht auf die Dreifach-Manndeckung von Robben und Ribéry. Nicht auf die Ausfälle von wichtigen Spielern.

Vor allem aber wirkt die Mannschaft die ganze Saison psychisch nicht stabil. Gegentore, früher nicht mehr als schnell zu korrigierende Betriebsunfälle, werfen die Spieler aus der Bahn. Selbst sichere Vorsprünge werden gerne noch verspielt, weil der Gegner aufeinmal mitspielt und aggressiv dagegen geht.

Am Ende des Tages ist es eine verpasste Chance. Louis van Gaal war dabei, dem FC Bayern ein neues Gesicht zu geben. Man konzentrierte sich nicht mehr nur darauf, den erfolgreichsten Fußball, sondern auch den schönsten Fußball zu spielen. Doch durch unnötige Fehler in der Personalpolitik machte es sich der Holländer selbst schwer.
Wenn van Gaal von Rummenigge & Co. vor die Tür gesetzt und durch einen Trainer ersetzt wird, der das Hauptaugenmerk wieder auf defensive Sicherheit auf Kosten der offensiven Optionen legt, wird man sich nächste Saison immer wieder fragen:

Louis, warum hast Du keine neuen Spieler geholt?

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