Out with the Old, in with the New

Michael Ballack. Didier Drogba. Michael Essien. Rio Ferdinand. John Obi Mikel. David Beckham. Vielleicht Arjen Robben, Wilson Palacios, Andrea Pirlo. Die Liste der verletzungsbedingten Abwesenheiten bei der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft wird länger und länger und illustrer und illustrer.

Dazu kommen bekannte Namen wie Torsten Frings, Kevin Kuranyi, Esteban Cambiasso, Karim Benzema, Ruud van Nistelrooij, Ronaldinho, Benny McCarthy oder Theo Walcott, die zwar fit sind, von ihren Nationaltrainern aber kein Flugticket nach Südafrika bekamen.

Auf den ersten Blick, besonders für den Durchschnittsfan, der die großen Namen sehen will, ein Desaster. Eine Weltmeisterschaft soll doch das Treffen der Besten der Besten sein, das Showpiece des Weltfußballs.

Au contraire.

In dieser Konstellation liegt gerade ein enormer Reiz, der dieses Turnier zu einem der interessantesten der letzten Jahrzehnte machen könnte.

Natürlich haben die Superstars der Welt ihren Reiz. Arjen Robben kennt inzwischen in Deutschland jede Hausfrau, Michael Ballack ist der weltweit bekannteste deutsche aktive Spieler. Mit solchen Namen lockt man auch die Damen und Herren vor den Fernsehschirm, die sonst nicht jeden Samstag Bundesliga schauen. Diese Identifikationsfiguren bieten auch für diese Projektionsflächen und Haltepunkte, an denen man sich schnell orientieren kann.

Doch nun ist man gezwungen, sich neue Stars, neue Lieblinge zu suchen. Und das kann für den Sport nur gut sein.

Diese WM wird die große Gelegenheit, für die Männer im Schatten aus genau selbigem zu treten. Kandidaten gibt es genug.

In der deutschen Mannschaft natürlich die beiden Leistungsträger des deutschen Doublesiegers FC Bayern, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger. Ersterer ist nun schon qua Kapitänsamt die zwangsläufige Alternative für den sonst auf Ballack gerichteten Fokus, und schon im Testspiel gegen Bosnien zeigte er mit seinem Tor, dass er bereit ist, diese Rolle auch anzunehmen. Schweinsteiger dagegen braucht nun – nachdem er sich endlich bei den Bayern-Fans, die ihm lange Jahre Selbstgenügsamkeit vorwarfen, vollends etabliert hat – auch in der gesamtdeutschen und weltweiten Öffentlichkeit diesen coming of age Moment. Nicht mehr allein flashy tricks ‘n’ goals, sondern harte Arbeit. Dafür ist seine neue Position im defensiven Mittelfeld, die er beim FCB schon hervorragend ausfüllt, wie geschaffen.

Doch auch sein Nebenmann, Sami Khedira, sollte diese WM nutzen können, um sich den Respekt abzuholen, den er verdient. Im Stuttgarter Biotop in den letzten Jahren im Schatten von Stars wie Alexander Hleb, Thomas Hitzlsperger oder Mario Gomez in Ruhe gereift, hat er nun einen deutlichen Schritt Richtung Leistungsträger gemacht. Die Vorzeichen stehen gut. Der VfB wird nächstes Jahr sein Team, auf ihm liegt die Verantwortung eines Teams, das nach einer unglaublich guten Rückrunde in Zukunft mehr als nur Europa League will. Da kommt eine WM auf der Ballack-Position gerade recht. Potential ist bei Khedira da, den ehemaligen Kapitän, der zuletzt an Dynamik eingebüßt hatte, auch langfristig zu ersetzen.

Nicht vergessen sollte man auch zwei junge Spieler, die bis zuletzt ihr Ticket nicht zu hundert Prozent sicher hatten: Marko Marin und Thomas Müller. Über letzteren ist eigentlich schon genug gesagt. Die Entwicklung des Münchners ist schlichtweg phänomenal und es überrascht inzwischen keinen mehr, dass der Spieler mit der Nummer 13 im ersten WM-Spiel gegen Australien von Anfang an auf dem Platz stehen dürfte.
Diese Rolle hat Marko Marin noch nicht. Doch ist der Werder-Spieler ganz klar Spieler Nr. 12, der als erste offensive Option auf den Platz darf – und das zu Recht. Natürlich, seine Fallsucht hat er auch in der Nationalmannschaft nicht abgelegt, aber was er sonst in seinem Alter schon zeigt, deutet in eine Richtung, die ihn auch auf Jahre zur festen Größe in der Nationalmannschaft und der Champions League machen dürfte. Zuletzt bei der EM kurz vor Toreschluss aus dem Kader gestrichen, steht Marko Marin nun anno 2010 in einer Position, die der eines anderen Spielers vor vier Jahren nicht unähnlich ist: Franck Ribéry.
Von der Spielweise ähnelt er dem französischen Superstar in vielerlei hinsicht, einzig seine Konstanz kann er in diesem Alter noch gar nicht bieten. Vor der WM 2006 war Ribéry in Frankreich kaum ein Thema. Dann wurde es sein Turnier, sein internationaler Durchbruch. Marin wird, sofern Podolski fit bleibt, nicht auf dessen Spielanteile kommen, doch ist Marin mit Sicherheit kein Odonkor, der tatsächlich nur als Einwechselspieler zu gebrauchen war.

Auch andere Nationen bieten Spieler der Kategorie 1B, die die entstandenen Lücken für WM-Stars füllen können.

Da wäre zum einen Dänemarks Nicklas Bendtner. Der Arsenal-Stürmer kommt mit seiner besten Vereinssaison im Rücken zur Weltmeisterschaft und steht bei sämtlichen Topclubs auf dem Zettel. Doch die Gunners sind froh, nach Henry wieder ein Sturmjuwel in den eigenen Reihen zu haben, der die nationale Lücke zu Manchester United und Chelsea zu schließen imstande ist. Technik und Ballkontrolle ist für einen Spieler, den Arsene Wenger in sein Reich lässt, sowieso usus. Doch Bendtner hat dieses gewisse Etwas der Topstürmer, das Spielverständnis, das sofortige Erkennen von Torsituationen.
Hinzu kommt natürlich seine Physis, die ihn für sämtliche denkbare Spielsysteme qualifiziert.

Auch Serbien hat mit Marko Pantelic und Nemanja Vidic zwei unbestrittene Könner im Kader, die zu den Leistungsträgern dieser WM gehören können. Pantelic, bei Hertha von Lucien Favre vom Hof gejagt, zeigte in der sportlich weniger anspruchsvollen holländischen Eredivisie seine Klasse, die er nun auf höherem Niveau bestätigen will und danach mit einem Wechsel in finanziell und sportlich bessere Gefilde zu honorieren gedenkt. Der Innenverteidiger Vidic verbuchte eine durchwachsene Saison beim englischen Vizemeister und dürfte gewillt sein, seine Leistungskurve herumzureißen, die nach der Saison 2007/08 nach unten zeigte.

Ghana muss sich in punkto Starpower nunmehr auf zwei Hoffenheimer, wie Isaac Vorsah und Prince Tagoe, oder einen Ersatzspieler von Inter, Sulley Muntari, verlassen. Zudem natürlich Public Enemy No. 1 Kevin Prince Boateng, der die Bühne WM nutzen muss, um sich für einen neuen Arbeitgeber außerhalb Deutschlands zu empfehlen, nachdem Portsmouth finanziell angeschlagen in Liga 2 absteigen musste.
Zudem bietet sich bei den Black Stars Rennes-Stürmer Asamoah Gyan, der jedoch schon bei vorherigen Turnieren den letzten Schritt zur Topklasse verpasste.

Beim Gastgeber Südafrika sind alle Augen auf den Ex-Dortmunder Steven Pienaar gerichtet. Bei den Borussen für zu leicht befunden, nunmehr Leistungsträger in der Premier League bei Everton, weckt er diesen Sommer sogar Begehrlichkeiten bei Champions League Vertretern. Ob er sich auf diesem Niveau nunmehr wohlfühlt, könnte er schon diesen Sommer nachweisen. Der Druck eines ganzen Landes, wenn gar nicht Kontinents, lastet auf seinen Schultern.

Ein kleines Juwel, auf den man achten sollte, steht im Kader von Mexiko. Javier Hernandez, Stürmer von Chivas, spielt in Zukunft für Manchester United und zeigte schon in den Testspielen, dass er sich vor der namhafteren Konkurrenz Blanco, Vela und dos Santos nicht verstecken muss.

Bei Uruguay drängt sich ein Name auf: Diego Forlan. Topstürmer von Atletico Madrid, hing ihm immer die verlorene Zeit bei Manchester United hinterher. Doch diese Saison stellte er einen wichtigen Part im Gewinn der Europa League.

Bei Frankreich richten sich die Augen auf einen Mann – Franck Ribéry. Letztes Jahr im Schatten von Zidane, Henry und Viera, ist es dieses Jahr seine Mannschaft. Doch in seinem Schatten wartet ein weiterer Mittelfeldspieler, dessen Auftritte mit Spannung herbeigesehnt werden. Yoann Gourcouff tat sich keinen Gefallen, indem er viel zu früh dem Lockruf der Topclubs erlag und bremste seine Entwicklung durch einen Aufenthalt bei Milan. Durch seinen Wechsel zum späteren französischen Meister Girondins Bordeaux machte er dagegen alles richtig. Neben dem Marokkaner Maroune Chamakh, der nicht bei der WM dabei ist, steht er wie kein zweiter für diese Mannschaft, die Serienmeister Olympique Lyon entthronte. Die Frage stellt sich, ob Gourcouff nun im zweiten Anlauf bereit sein könnte für einen ausländischen Topclub, nachdem Girondins die Saisonziele verpasste und auseinander zu brechen droht. Die WM könnte ein Fingerzeig sein.

Argentinien ist natürlich Lionel Messi. Ja, der ist tatsächlich bisher noch nicht verletzt. Doch seine Kronprinzen stehen ebenso im Aufgebot der albiceleste – Sergio Kun Agüero sowie Benficas Angel di Maria. Beide im Club eher in B-Teams angestellt, sehnen sich nun umso mehr nach der großen Bühne. Wenn man – trotz Maradona – von Argentinien als Titelfavorit spricht, liegt dies nicht zuletzt an dieser offensiven Dreifaltigkeit.
Nicht vergessen sollte man aber auch Liverpools Javier Mascherano, der den Idealtypus des Wadenbeißers darstellt und als feuchter Traum aller Roy Keane Fans seinen offensiven Schönspielern den Rücken freihält.

In der Abwesenheit von David Beckham trägt ausgerechnet Aaron Lennon Englands Nummer 7. Und auch auf ihm liegen die Augen der Welt. Verkörpert er bei Tottenham die Extraklasse im Kader, blieb ihm der internationale Durchbruch bisher verwehrt. Im Eins gegen Eins gibt es bei den Spurs keinen besseren, in der ganzen Premier League finden sich nur wenige Spieler, die mit ihm diesbezüglich mithalten können. Spielt ihm seine Fitness keine Streiche und umgeht England so manches Elfmeterschießen, könnte Lennon einer der größten Stars dieser WM und der Albtraum so manches Linksverteidigers werden.

Sollte bei den Niederlanden Arjen Robben ausfallen, stünde der nächste Spieler aus der Bundesliga Gewehr bei Fuß. Eljero Elia wird nicht zu Unrecht von Bayern-Kapitän Mark van Bommel als Granate bezeichnet, bietet technisch alles, was es auf dem internationalen Topniveau braucht, um ein ganz Großer zu werden – wie sich nicht zuletzt im Testspiel gegen Ungarn zeigte, als er nach seiner Einwechslung mit dem ersten Ballkontakt die komplette linke Seite ausdribbelte und schließlich Innenverteidiger sowie Torwart bei seinem Tor wie Schuljungen aussehen ließ.

Auch die Japaner haben interessante Spieler mit nach Südafrika gebracht. Einer davon ist Keisuke Honda, der in der Champions League schon mit sehenswerten Aktionen und Toren, bevorzugt durch Weitschüsse, auf sich aufmerksam machen konnte. Bei den globalen Titelkämpfen kann er nun zeigen, dass er kein one trick pony ist, der mit seinem Engagement in der russischen Rubel-Liga schon seinen Karrierehöhepunkt erreicht hat.

Bei Paraguay richten sich die deutschen Augen natürlich auf den Dortmunder Lucas Barrios, der immer mehr zeigt und die Weltöffentlichkeit verblüfft. Wie konnte sich so ein Weltklassestürmer im Wartestand so lange in Chile verstecken? Dass angesichts seiner Leistung seine zuvor nicht unumstrittene Einbürgerung immer weniger das Thema ist, spricht Bände.

Geht es nach Sponsor Nike, ist die Hauptrolle im portugiesischen Team klar vergeben. An Cristiano Ronaldo. Doch auch dieser bietet einen Adjutanten auf, der diese WM nutzen könnte, um sich noch mehr in die Weltspitze des Fußballs zu katapultieren. Die Rede ist von Manchester Uniteds Nani.
So sehr Arjen Robben die Bayern in jenem sagenumwogenen Rückspiel in Old Trafford mit seinem Wundertor in die nächste Runde geschossen hat, so sehr hätte Nani den deutschen Rekordmeister beinahe im ersten Durchgang im Alleingang in den internationalen Urlaub verfrachtet. Nani hat das Etikett des Hallodri abgelegt und füllte die Lücke Ronaldos bei den Red Devils zumindest zum Großteil auf. Diese zwei Topspieler in einer Mannschaft sorgen für wohlige Vorfreude bei den Fans und Angst bei Gegnern und Defensivreihen.

Wie man sieht, auch trotz der vielen prominenten Ausfälle bietet diese WM einiges an Potential, viele Topspieler, auf die man sich in beinahe jedem Spiel freuen kann. Und durch das Fehlen so manchen Topstars sind gerade diese nun aufgefordert, ihre neue Rolle anzunehmen und den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen.

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