Die deutsche Fankultur am Scheideweg

Mir persönlich sind viele Fangruppen ja eigentlich suspekt.

Fans, die zehn Minuten vor Abpfiff sich gen Ausgang bewegen, obwohl das Spiel knapp und noch lange nicht entschieden ist.

Fans, die fünf Minuten nach Anpfiff noch immer nicht auf dem Platz sind, weil das Buffet doch sehr lecker oder die Schlange am Bierstand länger als gedacht war.

Fans, die die eigene Mannschaft schon nach fünfzehn Minuten beim Stand von 0-0 auspfeifen.

Fans, denen Choreographien und der eigene Support wichtiger ist als das Spiel. Die neunzig Minuten den immer gleichen Singsang durchziehen.

Fans, die neunzig Minuten am Samstag mit dem Rücken zum Spielfeld auf einem Zaun stehend verbringen.

Doch für alle ist Platz.

Deutschland wird im Ausland für seine Fankultur beneidet.

Anders als in England gibt es hier in den meisten Stadien noch erschwingliche Stehplätze. Die Bewegung der Ultras bekommt von den Vereinsverantwortlichen mehr Raum als auf der Insel zugestanden, Flaggen, Doppelhalter und alle möglichen Transparente gehören hierzulande zum üblichen Stadionbild.

Anders als in Italien gibt es hier in den meisten Stadien aber auch viele Familien, viele Frauen, viele Kinder, die man regelmäßig bei Fußballspielen trifft. Der Bundesliga-Fußball ist keine Sache der testosterongeschwängerten Generation von 18-35, sondern für alle Altersgruppen.

Deutsche Stadien sind im europaweiten Vergleich sicher, sauber, modern – und bieten Platz für ein friedliches Nebeneinander aller verschiedenen Fanphilosophien.

Doch in den letzten Wochen hat sich ein Teil dieser Fußballphilosophien in den Vordergrund gedrängt, und das überhaupt nicht positiv. Durch den unverantwortlichen Einsatz von Pyrotechnik durch Auswärtsfans bei den Spielen Leverkusen – Köln und Bochum – Nürnberg, zum Glück bei ersterem ohne gesundheitliche Konsequenzen. Die Verletzung eines Hoffenheim-Ordners durch einen Gladbacher Fan. Und natürlich durch den gestrigen Platzsturm des Hertha-Anhangs nach der Niederlage im von allen Medien und Fans tagelang zum Abstiegsendspiel aufgejazzten Bundesliga-Duell mit dem 1. FC Nürnberg.

Die Fußballphilosophie des Ultra-Daseins bemüht sich schon seit langem redlich und mit friedlichen Mitteln, ihren Wünschen mehr Raum einzuräumen. Gegen den Kommerz, gegen Fanbeschränkungen, für mehr Einfluss der Ultras. Diese Ziele muss man nicht gut finden, man muss sie nicht unterstützen, aber man muss sie respektieren. Das Erlebnis Stadionbesuch wäre mit Sicherheit für den Krabbensandwich-Fan nicht das gleiche, wenn 69.000 still auf dem Hosenboden säßen und ihre Cola schlürfen.

Doch die Ultras müssen, bei all ihren Bemühungen eines nicht vergessen – das ewige Mantra “Fußballfans sind keine Verbrecher” muss auch von ihrer Seite her mit Leben gefüllt werden. Die Ultras müssen – jederzeit, und nicht nur nach solchen singulären Auswüchsen – zeigen, dass sie über genügend Selbstreinigungskräfte verfügen. Die extremen Elemente müssen von den gemäßigten unter Kontrolle gehalten werden und gegebenenfalls auch entfernt. Hier darf auf keinen Fall der ansich positive Zusammenhalt der Kurve zu einer Omerta führen, hinter der sich eben die verstecken können, die sich eben doch als die Verbrecher darstellen, mit der die treuesten der Treuen gerade nicht in einem Atemzug genannt werden wollen.

Die deutsche Fankultur in ihrer Einzigartigkeit zeichnet sich gerade durch das friedliche Nebeneinander der verschiedenen, zum Teil total konträren Fanphilosophien aus. Damit es so bleibt, muss diese gegenseitige Toleranz von allen Seiten erbracht werden. Und nicht aus einem angeblichen Gefühl der Bedrohung durch immer neue Anstoßzeiten und Versitzplatzung für seine Auffassung zu einer Art Vorwärtsverteidigung von Teilen der Ultras gegriffen werden.

Denn damit erweist man sich und seiner Causa einen absoluten Bärendienst. Die Kurven bringen nicht das Geld. Das Geld bringen die, die teure Sitzplatztickets, teure Logen, teure Fanartikel kaufen. Und wenn die Vereine sich entscheiden müssten, wären die Ultras die Verlierer, auch wenn es nur unverbesserliche Einzeltäter sein sollten, die sich nicht an diese Abmachung halten. Bekommen die Kurven ihrer Extreme nicht in den Griff, gefährden sie die Sicherheit in den Stadien, die Einnahmesituation der Vereine, erzwingen sie eine Entscheidung des deutschen Fußballs, welche Fußballfanphilosophie in den Stadien man präferiert.

Und diese Entscheidung würde nicht positiv für die Ultras ausfallen.

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